EuGH Urteil zu französischen FX-Krediten
Der EuGH hat sich in einer weiteren Entscheidung mit den für Fremdwährungskredite geltenden Transparenzkriterien auseinandergesetzt. Das Urteil in der Rechtssache BNP Pariabas Personal Finance SA vom 10.06.2021 (C-776/19 bis C-782/19) enthält Klarstellungen, die auch für Prozesse rund um FX-Kredite in Österreich von grundlegender Bedeutung sind. Eine Glosse von RA Sebastian Schumacher (veröffentlicht in VbR 06/2021).
1. Bereits in der Rs Andriciuc (C-186/16) hatte der EuGH klargestellt, dass es nach dem Transparenzgebot nicht genügt, wenn Klauseln in FX-Verträgen auf die Möglichkeit von Auf- oder Abwertungen der Fremdwährung hinweisen (eine Binsenweisheit!), sondern vielmehr dem Durchschnittsverbraucher die möglicherweise erheblichen wirtschaftlichen Folgen für seine finanziellen Verpflichtungen vor Augen führen müssen. Das Urteil C-776/19 geht einen Schritt weiter: Das Transparenzerfordernis wird nur dann erfüllt, wenn ein Verbraucher bei Abschluss des FX-Kredits verstehen kann, auf welches reale Risiko er sich während der gesamten Kreditlaufzeit im Fall von schweren Wechselkursverlusten aussetzt. Der EuGH setzt damit deutlich höhere Maßstäbe als sie bislang dem OGH genügten (vgl 6 Ob 25/19y mwN).
2. Die Transparenzprüfung hat anhand aller Unterlagen (auch Werbung) zu erfolgen, die ein Verbraucher vor Vertragsabschluss erhalten hat, wobei es keinen Unterschied macht, ob die Informationen von der Bank oder einem beteiligten Dritten erteilt wurden. Ungenügend sind Informationen, die auf der Hypothese eines gleichbleibenden Wechselkurses für die gesamte Kreditlaufzeit beruhen. Das bedeutet für die Praxis: Fehlen in Tilgungs- oder Prognoserechnungen realistische Simulationen von Wechselkursschwankungen, schlägt dies auf die Intransparenz von Risikotragungsklauseln durch. Einerlei ob die Bank oder der involvierte Vermögensberater für die defizitären Informationen Verantwortung trägt.
3. Die Frage, ob eine Klausel dem Gebot von Treu und Glauben entspricht, beantwortet der EuGH mit einem an John Rawls angelehnten Gedankenexperiment: Durfte sich der Gewerbetreibende bei loyalem und fairem Verhalten vernünftigerweise erwarten, dass sich ein Verbraucher auch nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt? Auch wenn die Beantwortung dieser hypothetischen Frage letztlich den nationalen Gerichten obliegt, geht der EuGH davon aus, dass das nicht gedeckelte Risiko von Wechselkursschwankungen, die für einen Verbraucher nicht vorhersehbar sind, aber jederzeit auftreten können, auf ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Parteien hinweist.
4. In Österreich wurden FX-Kredite als Massenprodukt vertrieben (lt. OeNB bestanden 2008 knapp 400.000 FX-Kredite, jeder sechste Kredit war ein FX-Kredit!). Das häufigste Modell war der endfällige FX-Kredit in Kombination mit einem Tilgungsträger. Dieses Modell kumuliert Zinssatz-, Wechselkurs- und Tilgungsträgerrisiko, was sich dramatisch auswirken kann: Bereits die geringe Aufwertung der Fremdwährung führt zu erheblichen Mehrkosten, gravierende Wechselkurs- oder Tilgungsträgerverluste können einen Kreditnehmer in den Ruin treiben. Es muss daher bezweifelt werden, ob eine solche hochspekulative Finanzierungsform ex ante für den Massenvertrieb geeignet war oder – um mit dem EuGH zu sprechen – ob sich heimische Durchschnittsverbraucher bei fairer, loyaler und transparenter Aufklärung auf eine solche Konstruktion eingelassen hätten.
5. Auch abseits der FX-Thematik enthält das Urteil C-776/16 wichtige Aussagen für den österreichischen Verbraucherschutz: Einmal mehr betont der EuGH das Recht eines Verbrauchers, sich an ein Gericht zu wenden, um die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel feststellen und sie für unanwendbar erklären zu lassen (siehe bereits C-259/19, Caixabank, Rn. 99). Diesen Rechtsanspruch leitet der EuGH aus Art 7 Abs. 1 RL 93/13 und Art 47 GRC ab. Klargestellt wird nunmehr, dass dieses Feststellungsrecht keiner Verjährung unterliegt (Rn 38). Diese Ansicht hat weitreichende Folgen für die innerstaatliche Rsp, weil damit der Klage eines Verbrauchers auf Nichtigerklärung einer missbräuchlichen Klausel das rechtliche Interesse nicht abgesprochen werden kann, was bislang (abgesehen von Ausnahmen: 7 Ob 198/09g) der Fall war. Zu denken wäre etwa an die Klage eines Verbrauchers, der iZm einem Dauerschuldverhältnis die Unwirksamkeit einer Bindungs- oder Entgeltklausel festgestellt haben will, ohne dass ein konkreter Anlass- oder Streitfall vorliegt. Das Rechtsschutzziel liegt nach Ansicht des EuGH in der KlauselRL selbst begründet, wonach jene Sach- und Rechtslage herzustellen ist, in der sich der Verbraucher ohne rechtswidrige Klauseln befinden würde.